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ORNAMENTA Kolumne August 2022

ORNAMENTALE ZEIT ALS SONNENTANZ

Im Solartal treten Kunst und Designpraktiken in Dialog mit übernatürlichen Kräften und dem Unerklärlichen. Symbole besitzen hier emanzipatorische Qualitäten, die sich der moderne Alltag aneignen kann. Wie können wir multidirektionale Zeitlichkeiten mit neuartigen und regenerierenden Qualitäten im Solar Valley nutzbar machen?

Das Figurentheater von Raphael Mürle steht für neugierige Bürgerinnen und Bürger der Region Nordschwarzwald ans Telefon. Sein Versuch, die im Sonnental entstehenden neuen Symboliken in lokale Dialekte zu übersetzen, löst beim Publikum Ehrfurcht und Fantasie aus. Dann aktivieren wir gemeinsam den Transferium-Audioguide in den Ausstellungsräumen. Wir hören Christine Lüdeke und Deniz Ova aufmerksam zu, wie sie über neue Grammatiken der Geselligkeit in den Themenvierteln von Ornamenta spekulieren.

Die Gegend um den Nordschwarzwald gilt als eine der sonnenreichsten Regionen Deutschlands. Überall in der Region versteckt findet man verschiedene Sonnenuhren, die verschiedene Fassaden profaner und sakraler Architektur schmücken, die mit der Sonne tanzen. Sie wirken heute wie Echos aus einer Vergangenheit, als die Zeitmessung aus dem Wechselspiel zwischen natürlichen Zyklen und heiligen Geometrien entstand, die eine bedeutende Rolle bei der Konstruktion sozialer Beziehungen spielten. Während die Industriegesellschaft älter wird, bewegen sich mechanische Zeitkontrollmaschinen, Symbole des neuen technokratischen Apparats, zu weltlichen Denkmälern und Geschäftsräumen, die auf die Entstehung einer neuen linearen progressiven Gesellschaft hinweisen. Sonnenuhren, die heute nur noch als architektonische Ornamente angesehen werden, verblassen langsam aus ihrer ursprünglichen Funktion als Medien für eine Zeitorientierung, die eng mit planetarischen Zyklen und spirituellen Praktiken verbunden war.

Während der Zeitkollaps im Stadtmuseum voranschreitet, steht die temporäre Solartal-Gemeinschaft vor der Wahl zwischen verschiedenen Zeitlichkeiten und bewegten Architekturen. Die eine Gruppe schließt sich dem spekulativen Architekturprojekt Bureau Babotanik an, die andere folgt dem Kunstforscher, Performer und Schriftsteller Kiran Kumar ins Lapidarium, eine Sammlung monumentaler Fragmente und Grabsteine ​​in einer Scheune neben dem Stadtmuseum.

Baubotanisch gebaute Architekturen manifestieren eine neue Art kultureller Praxis rund um botanische und zwischenmenschliche Fürsorge in einem Modus der Tiefenwahrnehmung. Diese grünen Chronographen dehnen und verlangsamen unsere Zeitwahrnehmung, wenn wir Jahr für Jahr beobachten, wie pflegeintensive Bäume und menschliche Bauwerke zusammenwachsen. Diese hybriden Strukturen führen uns zu einer neuen Praxis von mehr als menschlichen Verstrickungen, die sich im Laufe der Zeit gegenseitig stabilisieren und eine stabile Grundlage für verschiedene Lebensformen schaffen. Im Lapidarium hingegen wird die lineare Zeit ausgesetzt, während Kiran Kumar seine Erfahrungen bei einem seltsam eindrucksvollen Besuch des Sonnentempels in Konark in Indien vor einigen Jahren erzählt. In einem subtilen, aber hypnotisierenden Rhythmus folgt das Publikum seiner Live-Archäologie, während subtile, aber sanfte Verstrickungen zwischen Tanz und Architektur, zwischen Verkörperung und Umgebung entstehen. Tanzend zwischen sakralen Architekturen und heiligen Hainen wird ein erster Versuch der Artikulation von Verstrickungen in künstlerisch-ökologisch-spirituellen Praktiken vom Publikum miterlebt.

Das Solartal lädt uns ein, uns heilige Architekturen und kollektive Praktiken vorzustellen, die sie mit gemeinschaftlichen und regenerativen Fähigkeiten aufladen. Wie können wir uns unsere alltäglichen Praktiken als Transaktionen mit der Ewigkeit vorstellen, die nachhaltig einen fruchtbaren Boden für neuartige kollektive Anbetung schaffen? Was sind zukünftige Räume, in denen planetare Tänze und irdische Choreografien auf Kunst, Wissenschaft und das Spirituelle treffen und sich so in befreiende Templuralitäten verzweigen?

Fotos: Lisa Bergmann

ORNAMENTA column August 2022

ORNAMENTAL TIME AS SUN DANCE

In the Solartal, art, and design practices are in conversation with supernatural forces and the inexplicable. Here symbols possess emancipating qualities which can be appropriated by modern everyday life. How can we harness multi-directional temporalities with novel and regenerating qualities in the Solartal?

Raphael Mürle’s figure theater is ready to answer the phone for curious citizens of the Nord Schwarzwald-region. His attempt at translating the new symbolisms emerging in the sun valley into local dialects trigger awe and imagination in the audience. Then, we collectively activate the Transferium-audioguide in the exhibition spaces. We listen closely to Christine Lüdeke and Deniz Ova speculating on new grammars of conviviality in the thematic neighborhoods of Ornamenta.

The area around Nord Schwarzwald is considered one of the most sun drenched regions in Germany. Hidden all over the region one will find different sun clocks decorating various façades of profane and sacred architecture dancing time with the sun. They seem nowadays like echoes from a past when timekeeping emerged from the interplay between natural cycles and sacred geometries which played a significant role in constructing social relations. As industrial society comes of age mechanic time-control machines, symbol of the new technocratic apparatus, move on to secular monuments and commercial spaces pointing to the emergence of a new linear progressive society. Sun clocks, now merely seen as architectural ornaments, slowly fade from their original function as media for a time-orientation which were tightly linked to planetary cycles and spiritual practices.

As time-collapse moves forward in the Stadtmuseum the temporary Solartal community is faced with a choice between different temporalities and moving architectures. One group decides to join the speculative architecture project Bureau Babotanik, the other follows art-researcher, performer and writer Kiran Kumar into the Lapidarium, a collection of monumental fragments and grave stones in a barn next to the Stadtmuseum. Baubotanically built architectures manifest a new kind of cultural practice around botanical and interpersonal care in a mode of deep-time awareness. These green chronographs stretch and slow down our time perception as we observe year after year how care-intensive trees and human built structures grow together. These hybrid structures guide us to a new practice of more-than-human entanglements, stabilizing each other over time creating a stable ground for different life-forms. In the Lapidarium, on the other side, linear time is suspended while Kiran Kumar narrates his experiences during a strangely evocative visit to the Sun Temple in Konark in India several years ago. In a subtle but hypnotizing rhythm the audience follows his live archaeology as subtle but gentle entanglements emerge between dance and architecture, between embodiment and environment. Dancing between sacred architectures and sacred groves, a first attempt at articulating entanglements in artistic-ecological-spiritual practices is witnessed by the audience.

The Solartal invites us to imagine sacred architectures and collective practices charging them with communal and re-generational capacities. How can we imagine our everyday practices as transactions with eternity, sustainably constructing a fertile ground for new types collective worship? What are future spaces where planetary dances and terrestrial choreographies meet art, science and the spiritual thus bifurcating into liberating templuralities?

Photos: Lisa Bergmann