ORNAMENTA Kolumne Juli 2021

Ausfahrt Pforzheim: Jugendstyle

Hallo Pforzheim. Schön, Sie kennenzulernen. Oder sagen wir: Dich kennenzulernen? Eigentlich bietet ja der Ältere dem Jüngeren das Du an. Und da du nicht nur alt, sondern sehr alt bist (fast 2000 Jahre) und ich da nun wirklich nicht mithalten kann, selbst an den unausgeschlafensten Montagmorgen, an denen ich mich auch manchmal alt, sehr alt fühle, nehme ich es mir einfach mal gegenüber dir heraus. Und wenn wir jetzt schon beim Alter sind: Die Sache mit deiner Zurückdatierung auf eine Römersiedlung ist beeindruckend – aber noch besser finde ich, dass man es dir nicht anmerkt. Vielleicht liegt es an der Verknüpfung von Schmuck und Jugendstil, aber du scheinst mir trotz oder gerade wegen des Alters in einem dauerhaften Jugend-Modus, quasi einem Jugendstyle befasst. Und der ist vor allem eins: Echt. Nicht nur (aber auch) nett und verspielt, sondern vor allem: Hungrig, hektisch, emanzipiert und radikal persönlich. Du hast den höchsten Anteil von Zugewanderten in Deutschland – und gleichzeitig wohnt ein Drittel deiner Bewohner weniger als 10 Jahre hier. Die radikalen Veränderungsprozesse, die in Europa allenthalben beschworen werden: Sie lassen sich nicht in den großen Kulturhauptstädten von Paris bis Prag ablesen, sondern am besten hier, in Pforzheim. Während man woanders beschäftigt ist, die eigene Postkartenidylle zu erhalten, weiß ich nicht, ob hier überhaupt Postkarten verkauft werden. Und selbst wenn – man müsste sie ohnehin jeden Tag neu drucken. Weil du dich nicht durch eine Skyline definierst, sondern durch einen agilen Patchwork-Charakter, den man in den Begegnungen vor Ort spürt. Von der gemeinsamen Zigarette mit einem sibirischstämmigen Studenten in der Shisha-Lounge Elemenz bis zum Gespräch mit einem Unternehmer im Parkhotel: Diese Art der Jugendlichkeit kann ein Vorbild für ein postpandemisches Europa sein. Ob mit Shisha-Rauch im Reuchlinhaus oder paillettenbesetzten Niqabs wollen wir das zeigen – und diesen Jugendstyle gemeinsam ornamentalisieren. Nicht um dich als Stadt sexy zu machen – sondern um zu zeigen, dass du es schon längst bist.

 

Deutsche Übersetzung: Moritz Jähde

Foto: ORNAMENTA Juli 2021 try out event “Jugendstyle/Youth Mode”, Karolina Sobel

ORNAMENTA column July 2021

Ausfahrt Pforzheim: Youth Mode

We are met with hungry eyes upon our arrival in Pforzheim. From sharing a smoke with a student of Siberian descent at the Elemenz shisha lounge to a Park Hotel breakfast with a regional entrepreneur, confidently and eagerly the different figures of this Twin Peaks like town share their frantic energy, trauma’s and personalities.

Pforzheimers are in youth mode. They are in constant emancipation from boredom, from expectations, from tradition. As a city with Germany’s largest immigration populations and about one third of the Pforzheimers living in there for less than ten years, we see the former Goldstadt as a model town for how to live together. Tweaking, adding, intervening or adjusting the qualities that are already there will lead to ORNAMENTA 2024, which to us is an example for how to live in a post pandemic Europe.

Being in youth mode isn’t about constantly reliving yourself at a younger age. It’s about being youthfully present at any given age. It seems to be part of the survival strategy of people living in this German city cramped between forest, highways and more dominant urban metropolises. This desire to escape the constraints of everyday life is universal. Especially in Europe we tend to look up or down at our neighbouring cities or countries as we are bound by Western morals. But being in youth mode grants everyone here in Pforzheim and the Nordschwarzwald region the freedom to radically reorganise our relationships with the outside world.

We are so average nobody knows what we’re talking about. There is something incredibly attractive —we dare to say sexy— about the intergenerational durchschnittlichkeit and patchwork society of Pforzheim. It makes us ever more eager to continue working here by ornamentalising daily activities, places and objects, like filling the Reuchlinhaus with Schwarzwalder flavoured shiha smoke, showing and wearing the schmuck museum collection at a bar or simply by changing the fabric of a niqab.

 

Photo: Ornamenta July 2021 try out event “Jugendstyle/Youth Mode”, Karolina Sobel

ORNAMENTA Kolumne September 2022

Irgendwo am Rande des Schwarzwalds sinken die Temperaturen und die Jahreszeiten ändern sich, und die natürlichen Aromen des Nordschwarzwalds werden durch den Geruch von geräuchertem Fisch unterstrichen, der durch die Luft strömt, um die Ornamenta-Gemeinde zur letzten monatlichen Zusammenkunft zu begrüßen.

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ORNAMENTA Kolumne August 2022

Im Solartal treten Kunst und Designpraktiken in Dialog mit übernatürlichen Kräften und dem Unerklärlichen. Symbole besitzen hier emanzipatorische Qualitäten, die sich der moderne Alltag aneignen kann.

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