DIE FRÜCHTE DES LEBENS KOSTEN
Mythen, Sagen und Märchen vermitteln als Träger von Traditionen die Fülle des Lebens und der Fruchtbarkeit in der Region Nordschwarzwald. Wie können wir angesichts der Verdrängung alter Erzählungen durch neue Gewohnheiten, traditionelle Bräuche aufrechterhalten? Wie sehen aktualisierte Formen der Vereinigung und Partnerschaft aus, wenn die Gemeinde “Zum Eros” als Becken für hybride Liebesrituale neue Symbole der Lust hervorbringt? Das Transferium-Treffen im Juli macht sich auf die Suche nach Spuren lokaler Traditionen, die verwoben mit zeitgenössischer Alltagskultur, eine Fülle sinnlicher Gemeinschaftsformen eröffnen. Raphael Mürle, Frau Ursula Jahn-Zöhrens, Rita und Rudi Armbruster, Kasper Bosmans und Sina Schlei zeigen uns, wie dies auch heute noch möglich ist und deuten auf neue Wege lokale Traditionen lebendig zu halten.
Bevor wir das Transferium verlassen, wurde uns eine Aufführung von Raphael Mürle’s Figurentheaters geboten. Mürle erschafft mit seiner Interpretation der Gemeinde Zum Eros imaginäre, bildhafte Räume, die das Publikum aus seiner Umgebung herausholen und eine neue Sichtweise auf die Welt ermöglichen.
Während die Ornamenta-Community aus dem Stadtmuseum in den Bus steigt, leuchtet tief am frühen Abendhimmel die abnehmende Mondsichel, ein Zeichen der Fruchtbarkeit und für das Auf und Ab der natürlichen Zyklen. Passend für eine Sommernachtsreise, die unter diesem symbolischen Vorzeichen auf uns zukommt, während wir unseren Weg nach Ellmendingen antreten. Auf dem Weg dorthin erzählt uns Frau Ursula Jahn-Zöhrens von Hausgeburten und Hebammenarbeit, von der Hinwendung zu traditionelleren Formen des Gebährens, vom Aufbau einer hebammenwissenschaftlichen Gemeinschaft und vom Erfahrungsaustausch mit werdenden Müttern. Die Geburt des Lebens geht weit über das eigene Heim hinaus. Seit Frau Jahn-Zöhrens im Vorstand des Deutschen Hebammenverbandes sitzt und ihre Kolleginnen vertritt, wurde ihre Arbeit als Mutter und Hebamme für sie auch zu einem politischen Thema. In Ellmendingen angekommen, führen uns Rita und Rudi Armbruster durch die Ortschaft, die Hänge entlang, an denen ihr Weingut liegt.
Während wir einen Emmerol-Spritz auf Rita’s und Rudi’s Weingut Weinstein verkosten, präsentiert der belgische Künstler Kasper Bosman auf der Ornamenta die Rekonstruktion einer Malerei, welche symbolträchtig natürliche Zyklen veranschaulicht. Sie lädt die Betrachter dazu ein, über unsere Alltagsmythen zu reflektieren, welche stets im Zusammenspiel mit der uns umgebenden Welt gesponnen werden. Eine Welt in der wir ständig Geheimnisse enträtseln, neue kontinuierlich und zyklisch immer wieder auftauchen, während sie die Komplexität des gemeinschaftlichen Lebens zu fassen versuchen. Bosman’s Werke evozieren die Vielschichtigkeit und zugleich die Spannung zwischen Sozialem und dem Individuum. Sie stellen die Frage, wie vergangene Konflikte und Beziehungen im heutigen Kontext immer noch das kollektive Bewusstsein formen. Im Abspann eines sagenhaften Abends treffen wir auf unserer Rückkehr ins Transferium einen besonderen Gast, die Blaubeerprinzessin Sina Schlei. In ihrer Rolle als Repräsentantin des Blaubeerdorfes Enzklösterle zelebriert sie das “Blaue Gold” ihrer Heimat und streut so die begehrte Frucht in alle Himmelsrichtungen der Region Nordschwarzwald. Traditionen gedeihen eben dort am besten, wo in der aktuellen Gesellschaft nachhaltige Plattformen auf neue Ausdrucksmöglichkeiten treffen.
Fotos: Karolina Sobel
ORNAMENTA column July 2022
BEARING THE FRUITS OF LIFE
Myths, legends, and fairy tales represent the richness of life and fertility of the region as carriers of tradition in the Northern Black Forest region. As new stories and old narratives converge, how do we maintain traditional customs and rituals in ever-growing cities and towns while ensuring new forms of love and romance are able to practice new devotions? July’s Transferium gathering was focused on the overlapping of tradition and modernity that allows new cultures to emerge. Demonstrating how this is still possible in today’s world Raphael Mürle, Frau Ursula Jahn-Zöhrens, Rita and Rudi Armbruster, Kasper Bosmans and Sina Schlei offered us new ways to keep tradition alive.
Before we made our way from the Transferium, we were presented with a performance from Raphael Mürle’s Figure Theatre. Mürle creates imaginary, pictorial spaces to take the audience out of their surroundings and offer a new lens through which to view the world.
Leaving the Transferium, the waning crescent, a sign of fertility and the ebbs and flows of natural cycles, sat low in the early-evening sky. Apt that for a summer night gathering cast under this symbolic gaze upon us as embarked on our trip to Ellmendingen.
In transit, Frau Ursula Jahn-Zöhrens shared her tales of homebirths and midwifery moving towards more traditional modes of birthing, building a community and sharing the experience with mothers-to-be. Bearing the fruits of life stretches way beyond the home. As Frau Jahn-Zöhrens explains, it becomes a political issue and she now sits on the Executive Committee of the German Association of Midwives representing her colleagues.
Upon reaching Ellmendingen, Rita and Rudi Armbruster guided us around the neighbourhood and slopes where their winery sits. Sharing local secrets Rita and Rudi tell us how Almost all grape varieties typical of the region, such as Schwarzriesling, Pinot Noir, Dornfelder, Marienfelder, Riesling and Müller-Thurgau, thrive on the particularly suitable shell limestone soil.
While sampling the walls of Weingut Weinstein, Kasper Bosman’s presented a special commission for Ornamenta that illustrated natural cycles while inviting the viewer to consider the stories we tell ourselves in relation to the surrounding world. A world where mysteries unravel, and new ones appear in continuous cycles emulating the complexities of communal living. Bosman’s works evoke multiplicities in both the social and individual and question how the conflicts and relationships in these contexts help shape the collective consciousness.
On our return to the Transferium, a special guest, the Blueberry Princess Sina Schlei tells us of her role as a representative of the blueberry village of Enzklösterle. Since 2015, she is tasked with celebrating and spreading awareness around the “Blue Gold” of the Black Forest. Thus it seems from this evening’s interactions that tradition thrives when offered new platforms and ways of expression and evolves with the values of the modern world.
Photos: Karolina Sobel